Einen offenen Brief hat Dr. Julia Verlinden, Grüne Bundestagsabgeordnete aus Lüneburg, an die jungen Menschen gerichtet, die sich unter dem Motto ‚Fridays For Future‘ für den Klimaschutz stark machen. Auch im Landkreis Stade waren am 19. Januar zahlreiche Schüler*innen in Stade auf der Straße. Gerade hier bei uns in Stade plant Dow Chemical ein Kohlekraftwerk. ,,Klimaschutz geht anders, anstatt auf eine Energieform aus dem vergangenen Jahrhundert zu setzen, sollten Erneuerbare Energien weiter ausgebaut und der schrittweise Kohleausstieg bis 2030 eingeleitet werden“, so die Grünen aus dem Landkreis Stade in Richtung Dow Chemical.
Hier der offene Brief im Wortlaut:
Offener Brief: Wir brauchen Euch!
Offener Brief an die jungen Menschen, die sich unter dem Motto ‚Fridays For Future‘ für Klimaschutz stark machen
Berlin, 25. Januar 2019
Liebe Protestierende für Klimaschutz und Zukunft,
vor kurzem bin ich 40 geworden. Damit gehöre ich altersmäßig definitiv nicht mehr zu Euch, zu den „jungen Leuten“. Aber ich fühle mich Euch sehr verbunden, in vielerlei Hinsicht. Auch ich habe als Schülerin angefangen, für Umwelt- und Klimaschutz in der Schülerzeitung zu schreiben und Proteste und Demos für die Energiewende zu organisieren. Damals dachte ich: In 25 Jahren werden wir alle wichtigen Weichen gestellt haben, um unsere Lebensgrundlagen zu erhalten und mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Mehr Klimagerechtigkeit, mehr Verteilungsgerechtigkeit, mehr Generationengerechtigkeit.
Heute sehe ich mit Ernüchterung, wie weit wir immer noch von all dem entfernt sind. Euch sage ich: Ich bin wütend auf diejenigen, die älter sind als ich und schon lange wissen, was auf uns zukommt und die es trotzdem nicht geschafft haben, die Treibhausgasemissionen der Welt zu senken. Zugleich bin ich enttäuscht und beschämt, dass auch meine eigene Generation noch nicht mehr erreicht hat.
Die bestehenden Strukturen sind hartnäckiger und wehrhafter als gedacht. Und diejenigen, die vom fossilen Zeitalter auf Kosten Eurer Zukunft profitieren, sind leider noch extrem stark. Daher würden manche sagen: „Es war naiv, mehr zu erwarten“. Aber warum eigentlich, wenn es um die elementaren Fragen des Zusammenlebens und des Überlebens geht? Müsste nicht der Klimaschutz längst ganz oben auf der Agenda der Regierungen stehen – egal ob sie rot oder grün oder schwarz geführt sind?
Mit einem steigenden Meeresspiegel kann man nicht verhandeln. Die Naturgesetze lassen sich nicht auf Kompromisse ein, sie sind gnadenlos konsequent. Die politischen Entscheidungen waren es in den letzten Jahrzehnten dagegen nicht. Es ist höchste Zeit für einen Kurswechsel. Kleine Schritte, die die fossilen Konzerne mittragen, reichen längst nicht mehr, um die Klimakrise zu stoppen. Vielmehr muss die politische Mehrheit verantwortungsvoll entscheiden und Konzernen klare Grenzen setzen.
Ich bin sehr froh, dass es Euch gibt und dass immer mehr von Euch den Freitag nutzen, um klar zu sagen: „Wir wollen eine Zukunft. Also macht was!“ Je mehr Ihr werdet, desto schwieriger wird es wegzuschauen – auch für die Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Fraktionen, die meinen, sie tun genug. Denn Ihr erwartet zurecht, dass ein Parlament zukunftsfähige Entscheidungen trifft, welche auch diejenigen im Blick haben, die noch nicht wählen dürfen oder in anderen Teilen der Erde leben.
Wir alle in Parlamenten und Institutionen, die Eurer Meinung sind, sind auf Euch angewiesen. Es motiviert uns weiterzumachen, wenn wir Euch auf der Straße sehen. Und vor allem, weil Ihr das stärkste Argument gegen all die Bremser in Unternehmen, Interessengruppen, Parlamenten und Regierungen seid, die Klimaschutz und Energiewende behindern. Ihr steht da mit Euren Wünschen und berechtigten Forderungen für eine gute Zukunft. Auch wenn die Widerstände weiter groß sind: Niemand hat das Recht, Euch diesen Anspruch zu verwehren.
Deshalb sage ich danke, dass Ihr da seid und nicht resigniert, obwohl es mühsam ist. Und bitte: Werdet mehr, werdet noch lauter und bleibt dran.
Wir brauchen Euch!
Herzliche Grüße
Julia Verlinden